„30 Tassen Kaffee zu Hause sind zwei Tassen im Café“
Gut leben im Alter – was muss Frau tun?

Am 20. Oktober 2022 hatte der Bayerische Landesfrauenrat (BayLFR) geladen und über 100 Frauen aus Politik und Wirtschaft, Sozialverbänden und Zivilgesellschaft waren ins Bayerische Sozialministerium gekommen. Ihnen allen brannte das Thema „Altersarmut von Frauen“ auf den Nägeln.

Präsidentin Monika Meier-Pojda begrüßt Publikum
Präsidentin Monika Meier-Pojda

Staatsministerin Ulrike Scharf und BayLFR-Präsidentin Monika Meier-Pojda

Gästinnen & Gäste während Begrüßungsrede

Moderatorin Barbara Streidl
Moderatorin Barbara Streidl

Präsidentin Monika Meier-Pojda brachte es in ihrem Grußwort auf den Punkt „Altersarmut ist weiblich. Sie trifft vor allem Mütter“. Weltweit würden Frauen zwar zwei Drittel der Arbeit leisten, erhielten, laut einer UN-Studie, dafür aber nur zehn Prozent des Welteinkommens und besäßen nur ein Prozent des Weltbesitzes. Überall auf der Welt haben Frauen deutlich weniger Geld als Männer – eine Tendenz, die sich im Alter fortsetzt. „Selbst in einem reichen Land wie Deutschland ist die Rente von Frauen nur halb so hoch wie bei Männern.“

Staatsministerin Ulrike Scharf hält Rede
Staatsministerin Ulrike Scharf

Staatsministerin Ulrike Scharf bei ihrer Rede

Die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen war auch das Stichwort für die Bayerische Staatsministerin Ulrike Scharf. Die Biografien von Frauen würden sich an einem Punkt treffen: „Frauen müssen sich ihren Platz immer noch hart erarbeiten – in der Wirtschaft, in der Politik, überall“. Seit Jahren kämpft sie auf verschiedenen Ebenen für die Gerechtigkeit zwischen Frauen und Männern: „Wir wollen Ungerechtigkeit bekämpfen. Und allen Frauen eine Stimme geben, damit sie bekommen, was ihnen zusteht.“

Frauen holen stark auf. Wenn Frauen heute in Rente gehen, kommen sie durchschnittlich auf 37 Versicherungsjahre. Zur Jahrtausendwende waren es nur 27 Jahre.
Aber es gilt noch immer: Frauen gehen öfter in Teilzeit. Sie verringern eher ihre Stundenzahl im Beruf, um unbezahlte Arbeit zuhause zu leisten.
Der Frauenanteil unter den Vollzeit-Beschäftigten ist mit 33 Prozent deutlich niedriger als der von Männern.

Das spüren Frauen gleich dreifach: im monatlichen Einkommen, im Vermögensaufbau und in der späteren Rente. Der Gender Pay Gap wirkt sich immer noch gravierend aus.

Prof. Dr. Irene Götz1
Prof. Dr. Irene Götz

Prof. Dr. Irene Götz2

Prof. Dr. Irene Götz3

Die Kulturwissenschaftlerin Prof. Dr. Irene Götz (LMU München) untermauerte das Thema mit Zahlen, Daten und Fakten. Zusammen mit fünf Wissenschaftler*innen hatte sie von 2014 bis 2017 Münchner Rentnerinnen zwischen 60 und 85 Jahren zu ihren Lebensumständen im Alter befragt und in dem Buch „Kein Ruhestand – wie Frauen mit Altersarmut umgehen“* zusammengefasst.

Die Schilderungen der Frauen sind erschütternd und ähneln sich auf fatale Weise: Obwohl alle Befragten ein Leben lang gearbeitet hatten, lebten sie im Alter an oder unter der Armutsgrenze. Und noch eins einte sie fast alle, bis auf einige wenige Ausnahmen nahmen sie keine staatlichen Leistungen in Anspruch. Zu groß sei die Scham, aber auch die Unwissenheit. Sie wüssten nicht, was ihnen zusteht, hätten Sorge, dass ihre Kinder belangt würden. Diese wüssten oft auch nicht um die prekäre Situation ihrer Mütter. Das größte Armutsrisiko, so Götz, hätten Frauen mit Migrationshintergrund und Geschiedene oder Witwen. Aber auch Frauen aus der Mittelschicht wären zunehmend von Altersarmut betroffen. Letztlich würden Faktoren wie Kinderbetreuung, Teilzeitarbeit, Pflege, Scheidung, vor allem Überschuldung und gesundheitliche Probleme das Armutsrisiko für Frauen im Alter verstärken.

Foto von Gesprächsrunde1

Foto von Gesprächsrunde2

Foto von Gesprächsrunde3

Foto von Gesprächsrunde4

Nach dem spannenden Bericht von Professorin Götz mit den ernüchternden Zahlen und den erschütternden Biografien ging die Journalistin und Moderatorin Barbara Streidl mit Verve in die Podiumsdiskussion. Staatsministerin Scharf, Professorin Götz und die Finanzexpertin Margarethe Honisch diskutierten über klassische Rollenbilder, fehlende Vorbilder und darüber, dass Vollzeitstellen für viele Frauen immer noch nicht selbstverständlich sind. Dass Teilzeitarbeit normal ist, dass Kindererziehung und Pflege von Angehörigen immer noch Frauensache ist, dass der Jugendkult in der Gesellschaft ältere Frauen auf die Hinterbänke verbannt, dass viele Frauen sich schämen zur Tafel zu gehen oder staatliche Leistungen zu beantragen. Sie thematisierten aber auch die antimaterialistische Haltung vieler Frauen, nach dem Motto „Geld ist mir nicht so wichtig!“, und die erst bei einer Scheidung merken würden, dass sie sich viel früher mit dem Thema Geld und Vorsorge hätten auseinandersetzen müssen.

Alle Diskutantinnen waren sich einig: Das Rentensystem muss dringend reformiert, das Rentenalter flexibilisiert werden. Gleichzeitig müssten mehr Informations- und Beratungsangebote gemacht werden, damit Frauen ohne Scham staatliche Hilfe annehmen könnten.

Bühnenpoetin Meike Harms
Meike Harms

Auftritt von Bühnenpoetin Meike Harms

Den Abschluss machte die Bühnenpoetin Meike Harms: In einem Parforceritt rundete sie die Veranstaltung ab: „Armut hat viele Gesichter … aber wie leben eigentlich Rentnerinnen in einer Stadt wie München … illustre Mieten … jeglichen Luxus vermeiden … Schuhe kaputt … Möbel geschenkt … statt Torte und kulinarischem Allerlei, nur Kartoffeln mit Spiegelei … was müssen Gesellschaft und Politik eigentlich leisten … damit Frau sich nicht fragen muss … hab mich ein Leben lang um andere gekümmert … wo bin jetzt ich?

Link YouTube zum Poetic Recording von Meike Harms

Präsidentin Meier-Pojda verabschiedete die Gäste mit den Worten: „Das Thema wird uns noch länger beschäftigen. Wir haben noch viel zu tun!

Gruppenfoto von Scharf, Hinisch, Streidl, Götz, Meier-Pojda, Niedermaier und Geiger
v.l.n.r.: Ulrike Scharf, Margarethe Honisch, Barbara Streidl, Prof. Irene Götz, Monika Meier-Pojda, Vizepräsidentinnen Margit Niedermaier und Katharina Geiger

Gruppenfoto Inputgeberinnen mit Blumensträußen

Meier-Pojda, Geiger & Niedermaier
 

 

*Kein Ruhestand. Wie Frauen mit Altersarmut umgehen. Irene Götz (Hrsg.), Kunstmann Verlag, München 2019